Vortrag beim 6. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Musiktheorie in Weimar 6.-8.10.2006
Das
methodisch-didaktische Konzept des argentinischen Lehrbuchs „Análisis Auditivo de la Música“ im
Vergleich zu europäischen Höranalyse-Werken
Nach
der Durchsicht einer umfangreichen interdisziplinären Bibliographie
Gehörbildung/Hörerziehung (unveröffentlichte Forschung des Autors mit ca. 3100
Titeln) kann die Auffassung nachdrücklich bestätigt werden, dass
methodisch-didaktische Konzepte zur Höranalyse in der internationalen Literatur
in einem verschwindend geringen Umfang vorliegen, zumal viele der mit
„Höranalyse“ oder ähnlichen Formulierungen betitelten Werke die Thematik nur
unbefriedigend behandeln.
Die Autoren Bowman und Terry haben mit den englischsprachigen
Werken „Dictionary of Music in Sound“ (Rhinegold) und Aural Matters (Schott) Standardwerke geschrieben, die
hinsichtlich der Klangqualität insbesondere beim ersten Werk und der stilistischen
Vielfalt beim zweiten Werk überzeugen.
Auch die
französischen Autoren Jollet bzw. Labrousse
bieten 16 Multimedia-Lehrbücher und eine Vielzahl weiterer Höranalysewerke zur
Ausbildung des Hörens musikalischer Werke an und erweitern damit das traditionelle
Konzept der Formation Musicale.
Eine Diplomarbeit
von Sylvia Färber Höranalyse-Methoden-Materialien-Beispiele ist eine wichtige
deutschsprachige unveröffentlichte Arbeit. Die Autorin spricht von „angewandter
Kompositionsgeschichte“ und konzipiert ihre Methodik ebenfalls als angewandte
Musiktheorie und Formenlehre. Somit sind diese theoretischen Fächer hier
unverzichtbare Voraussetzung für die Höranalyse. Trotz dieser speziellen
methodischen Ausrichtung ist die Arbeit von Faber mit ihren systematisch geordneten
114 Klangbeispielen eine inhaltlich und in manchen Aspekten auch
hörpsychologisch überzeugende Arbeit.
Allen oben
genannten Konzepten gemeinsam, dass sie sich auf den Zusammenhang zwischen dem
Musikhören und Notenmaterial konzentrieren. Ausgangspunkt ist jeweils das
Musikwerk in seiner visuellen Erscheinungsform. Die ursprüngliche Intention der
ganzheitlichen Hörerziehung bzw. der Höranalyse, musikpsychologische Aspekte
der Musikwahrnehmung oder Methoden zum hörenden Analysieren bereit zu stellen, wird
nur am Rande behandelt.
Im
Vergleich dazu soll ein andersartiges Höranalysekonzept vorgestellt werden,
welches dem Ansatz der GTTM nahe steht und sich auf deren unumstrittene Aspekte
konzentriert.
Die
argentinische Musiktheoretikerin Maria Del Carmen Aguilar
beruft sich in ihrem 1999 erschienenen Buch „Analisis
Auditivo de la Musica“ nicht nur auf Lerdahl/Jackendoff, sondern auf
eine Vielzahl ähnlicher Theoretiker wie z.B. F. Meyer. Sie setzt eine von David
Temperly erhobene Forderung um, dass sich ein
Höranalysekonzept nicht primär auf Notenmaterial, sondern auf Audiomaterial
beziehen sollte und somit offen ist für die Analyse
der unterschiedlichsten Audio-Vorlagen. Deshalb konzentriert sie sich auf gut
nachvollziehbare Struktursymbole und verzichtet fast vollständig auf
Notendarstellungen. Das Konzept Aguilars wurde
entwickelt in der hochschulpädagogischen Tätigkeit der Jahre 1988-1997. In
dieser Zeit wurden 897 Studierende der Universität Buenos Aires unterrichtet.
Zu den 94 Klangbeispielen mit einer stilistischen Vielfalt von der
„Gregorianik“ bis zur Neuen Musik und Jazz/Pop/Folklore liegen 325 Höranalysen
der Studierenden vor. In die Arbeit wurden auch studentische Kommentare zu den
unterschiedlichsten Aspekten der Wahrnehmung aufgenommen. Das Buch Aguilars kann gelesen werden als ein in
didaktisch-methodischer Hinsicht wohl durchdachtes Lehrkonzept. Die Aspekte
Syntax, Rhythmus-Metrik, Thematik-Motivik, formale
Funktion, Systeme der Tonhöhenrelationen, Textur und Besetzung werden jeweils
systematisch nach dem Schema Theorie-Didaktik-Praxis eingeführt. Weitere
Kapitel erläutern die Systematik der Unterrichtserfahrung,
bei der mit einem einheitlichen Analyseformular mit Hilfe von Grafiken und
Texten gearbeitet wird. Außerdem ist die Arbeit hinsichtlich des Aufbaus, der
Auswahl der Klangbeispiele und des statistisch auswertbaren Materials eine
wissenschaftliche Untersuchung zur praktischen Anwendung eines überzeugenden
Höranalysekonzeptes.