Interview mit Pauline Oliveros beim Deep-Listening- Workshop in Mürren, Schweiz 4. - 11. Juli 1999 (deutsche gekürzte Version)

zur homepage Lutz Felbick             weitere Vorträge / Unterrichtsmaterialien

Interview with Pauline Oliveros at the Deep-Listening Retreat in the Alps at Murren, Switzerland July 4 - 11, 1999 (English Version)

Neugierig werden auf Musik von Pauline Oliveros - Vortrag mit Musikbeispielen am 19.12.1999 in der Klangbrücke Aachen

Inhalt:

I pray for deep listening in the new century -- listening alone -- listening together -- listening to others -- listening to oneself -- listening to the earth -- listening to the universe -- listening to the abundance that is -- awakening to and feeling sound and silence as all there is -- helping to create an atmosphere of opening for all to be heard, with the understanding that listening is healing. Deep listening in all its variations is infinite. Deep listening is love.  Pauline Oliveros in Prayers for a Thousand Years Harper San Francisco, April 1999

Biographie

Pauline Oliveros (*1932) gilt als eine der einflußreichsten Komponistinnen der USA. Die Karriere der international anerkannten amerikanischen Komponistin und Akkordeonistin begann in den frühen 60er Jahren, als sie die erste Direktorin des heutigen Center for Contemporary Music am Mills College in Kalifornien wurde. Danach beeinflußte sie 14 Jahre lang maßgeblich das zeitgenössische Musikprogramm an der Universität von Kalifornien in San Diego. Seit 1981 tritt sie weItweit mit ihren eigenen Kompositionen als Solistin mit der Deep Listening Band auf. Ihre Performances und Kompositionen basieren häufig auf meditativen Übungen. Es ist eine Suche nach akustischem Einklang zwischen innerer Empfindung und äußerer Wahrnehmung, ausgedrückt im Medium der Musik. 1985 gründete sie die Pauline Oliveros Foundation, deren Ziel es ist, die weltweite Zusammenarbeit und den kreativen Austausch einer internationalen Künstlergemeinschaft in allen Aspekten des künstlerischen Prozesses zu fördern und kontinuierlich Projekte in ihrer Heimat Kingston, New York zu verwirklichen. Ihre Kompositionen hat sie als Solistin weltweit vorgestellt. 1985 wurde sie mit einer Retrospektive ihres umfassenden künstlerischen Schaffens im J.F. Kennedy Center for Performing Arts in Washington DC geehrt. 1977 erhielt sie den Beethoven-Preis der Stadt Bonn. Als Auftragsarbeit für das Studio Akustische Kunst , Köln realisierte Pauline Oliveros ihre Klangkompositionen Humayun's Tomb, Traum-Mandala, DreamHorseSpiel, Poem of Change und Ear Piece.

MusikerInnen und NichtmusikerIinnen

LF: Pauline, Du arbeitest sowohl mit Leuten, die hauptberuflich Musik machen, als auch mit solchen, die keine MusikerInnen sind. Macht es denn heute überhaupt noch einen Sinn, diesen Beruf auszuüben?

PO: (Pauline lacht) Natürlich macht es das! Es macht natürlich immer einen Sinn , sich einer bestimmten Sache zu widmen in der Weise wie man das für richtig hält. Ich interessiere mich bei meiner Arbeit für die Möglichgkeiten der Kreativität und ich habe das Gefühl, dass im Grunde alle Menschen musikalisch sind, aber dass vieles in sehr verschiedener Weise verschüttet ist. Viele haben sie verloren durch einen Mangel an Selbstvertrauen und deshalb möchte ich es den Leutern ermöglichen, Erfahrungen zu machen, sogar wenn sie keinerlei musikalische Ausbildung mitbringen. Aber es gibt auch die Situation, dass man in der musikalischen Ausbildung nur auf die Fachkenntnis in ganz bestimmten Dingen achtet, so dass man nicht mehr in der Lage ist, das ganze in einem größeren Zusammenhang zu sehen oder irgendetwas wahrzunehmen, dass von diesen gewohnten Mechanismen abweicht. Ich habe zwar Verständnis für solche Verhaltensweisen, aber im selben Moment finde ich es wichtig, flexibeler zu sein. Das kann zu einer gößeren Vielfalt  in der Musik führen.

John Cage

LF: John Cage hat einmal gesagt, er habe kein Gefühl für Harmonie. Welche Unterschiede oder Entwicklungen gibt es zwischen der Denkweise von John und von Dir?

PO: Das ist interessant! Ich kenne diesen bekannten Ausspruch, dass er keinen Sinn für die Harmonie hätte und ich denke, er hat es so gemeint, dass er sie nicht in der üblichen Weise benutzen wollte, weil sie dann begrenzt ist auf einen bestimmten Stil oder eine bestimmte Art von Musik. Tatsächlich trafen wir uns mal in George Lukas's Skywalker Ranch in Kaliforniren bei einer Konferenz zum Thema "Sound Design" und ich spielte ein wenig von der Deep-Listening-Band -CD, die in einer großen Zisterne mit einer Nachhallzeit von 45 Sekunden aufgenommen worden war. Und dann spielte ich auch einige Soli mit dem Titel "Roots of the Moment" für Akkordeon und mein Expanded Instrument System (EIS). Es war dann wahrscheinlich der Zeitpunkt, in welchem John Harmonie verstand, hervorgerufen durch das Hören der Deep-Listening-CD. Er dachte auch an ein Stück mit dem Namen critical band und das hatte mit Reflektionen über den Klang und Raum zu tun und als er über Raum, Hall, Echo und Reflektionen nachdachte, kam er zu einem ganz neuen Verständnis von Harmonie. Denn dies ist mehr eine Harmonie ohne Intensionen und einer Harmonie, die er in seiner speziellen Weise harmonisch empfinden konnte. Deshalb begann er in seinen späteren Stücken etwas zu schreiben, was auf diesem neuen Verständnis basierte, welches sich genau in dieser  Zeit entwickelte. Deshalb war das sehr interessant. Für mich ist die Harmonie eine besondere Art von Organisation, so dass jeder Raum seine spezielle Art von Harmonie hat.  Ich meine zum Beispiel, wenn man an manchen Stellen Musik des 19. Jahrhunderts spielt, das klingt wirklich manchmal einfach nicht.   

Humor

LF: Ich möchte jetzt eine nicht so ernste Frage stellen. Bei Deinen Deep-Listening Retreats stelle ich immer wieder fest, dass es viel zu lachen gibt (Pauline lacht) .Gibt es da einen Zusammenhang zwischen Humor und Deep-Listening (beide lachen)? Oder ist das jetzt etwa ein Geheimnis, dann gehe ich natürlich sofort zu meiner nächsten Frage. Oder was es könnte das sein...? (Pauline lacht)

PO: Ja, was ist das für ein Zusammenhang? Nun, ich glaube, Humor eignet sich hervorragend, um die Gedanken freizuschütteln. Wenn Du eine bestimmte Richtung zu ernst einschlägst, verändert der Humor alles, er öffnet und erleichtet die Dinge. Es erleichtet alles wenn jemand zu verspannt ist und löst und öffnet. Ich glaube, dass Humor sehr wichig ist.... zumindest für mich (Pauline lacht)!

Improvisation

LF: Ich glaube im Laufe der Musikgeschichte haben wir das Improvisieren verlernt...

PO: ... genau das stimmt!!...

LF: ... und ich habe Dich so verstanden, dass das zusammenhängt mit dem Verlust des intensiven Lauschens?

PO: Das kann schon irgendwie sein, denn Mozart, Bach und Beethoven waren für ihre exzellenten Improvisationen sehr bekannt. Sie waren sogar für ihre Improvisationen bekannter als für Ihre Kompositionen. Aber dann kam das 19. Jahrhundert mit dem Geniekult der großen Komponisten. Ich denke, dass das bei einem Komponisten im Mittelalter anders war...

LF: ... mehr ein Handwerker?

PO: ..ja, aber die Idee des Genies entfremdete sie, erzeugte in ihnen das Gefühl, unfähig für solche Improvisationen zu sein und das hing auch damit zusammen, dass die Partituren  damals immer wichtiger wurden und Musiker diese Noten weitergaben und schließlich dass die Komponisten immer kompliziertere Formen konstruierten.

LF:... wie ist das mit den Leuten, die Jazz spielen?

PO: ... das mit dem Jazz ist so eine spezielle Angelegenheit: Der Jazz hatte nicht den Status wie ihn die klassische Musik hatte. Aber die Improvisation ist natürlich sehr sehr wichtig. Und dann vermischten sich jetzt diese beiden Ströme, deshalb ist das jetzt kein Thema mehr. In den 60-er Jahren war die Improvisation nicht sehr bekannt, zumindest nicht in dem Sinne, wie sie es heute ist.

LF: Es war ja auch so, dass die "Avantgarde" diese Art von Improvisation ablehnte, weil man sagte, sie würde nur aus Klischees bestehen...

PO: ... genau... weil immer die gleichen Floskeln benutzt wurden...

LF: ... nun ich glaube , die interessante Idee der "Avantgarde" der 50-er Jahre war es, Herausforderungen an das Hören zu stellen. So hat zum Beispiel Pierre Boulez die verrücktesten Stücke geschreiben. Damit war aber dann die Frage nach dem Hören gestellt.

PO: Ganz genau! Aber bei der Erfahrung in meiner Arbeit ist es zum Beispiel wichtig, nicht etwas zu wegzuwerfen: Nicht die konventionelle Notation, wenn ich sie benutzen möchte, oder überhaupt auch nicht die ganze notierte, konstruierte Musik, denn das eine gibt dem anderen Neues. So werden Gedanken von dieser zu jener Seite ausgetauscht, wie z.B. die elektronische Musik die akustische Musik befruchten kann. Das ganze wird dann zur Synthese und es gibt einen Austausch. So glaube ich, das man sich gegenseitig beeinflußt und das sind - wie es heute morgen schon sagte - die Ergebnisse des Hörens, man kann eine Veränderung durch das Hören bewirken, und ich glaube, dass MusikerInnen sich genau wie alle anderen Leute auf einen Begriff oder Gedanken verbeißen können. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie man seinen Horizont erweitern kann, wie man mehr erfahren kann und schließlich wie man es anwenden kann. Wie kann man das alles aufbrechen? Zuerst muß man es wahrnehmen. Wenn Du es allerdings nicht wahrnimmst....!!?? (Pauline lacht)

Zeit

LF: Seit Arnold Schönberg war die "Avantgarde" immer von dem Gedanken  geprägt, sich im Zenit der Zeit zu befinden. Ich glaube, Schönberg drückte so aus, dass er die heilige Aufgabe hätte, im Auftrage Gottes das zu sagen, was der Moment fordert. Und ich glaube, dass Messiaen und einige andere Komponisten eine ähnliche Idee hatten, die spirituelle  Verbindung. Soviel ich verstanden habe, glaubten sie, sich genau im Mittelpunkt der Gegenwart zu befinden. Das war für mich auch immer der Grundgedanke der "Avantgarde".  Du hast allerdings gesagt, Du würdest den Gedanken einer "Avantgarde" für altmodisch halten.

PO: Das hab ich wirklich gemeint (Pauline lacht). Der Begriff scheint mir altmodisch. Es ist ein militärischer Ausdruck. Und aus meiner Sicht ist der Militarismus aus der Mode gekommen (Pauline lacht) .

LF: Aber kann man es nicht auch aus einer linearen Zeitvorstellung betrachten?

PO: Ja, aber die Gegenwart ist sofort wieder weg wenn sie sich gerade erst ereignet hat (Lautes Lachen von Pauline). Wo ist sie denn? So denke ich mehr an einen Kreis oder eine Spirale, ein Ball, der sich immer mehr ausdehnt wie das Universum, in welches man dann mehr und mehr einschließen kann, wie in einem Kreis. Dass alles gleichzeitig geschieht.. simultan! Deshalb gibt es keinen Zeitpunkt, denn es ist alles gegenwärtig (Pauline lacht)! Aber wir verbeißen uns ein wenig in diese Zeitpunkte. Wir schaffen Zeit mit unserer Sprache, mit dem Messen unserer Jahre... besser sollte man an Kreise denken... rund...

MUSAK

LF: Was denkst Du über MUSAK? Du kennst das?

PO: Natürlich kenn ich MUSAK (Pauline lacht)! Ich glaube, sie ist ein Werkzeug des Business, indem Musik als Hilfsmittel benutzt wird, Menschen zu mehr Arbeit zu bringen,  sie zu veranlassen, sich Dinge zu kaufen. Das ist die Funktion von MUSAK und diese Funktion ist nicht nobel! Es dient dazu, das Bewußtsein oder das Unbewußtsein zu stärken, so dass sie manipulierbar sind. Das ist Beeinflussung! Ich glaube, dass es für jeden gut wäre, zu wissen, was diese Musik mit ihnen macht und was sie selbst für eine Beziehung zu ihr haben. Es könnte dazu dienen, dass wir eine Art von Selbstverteidigung lernen, uns gegen MUSAK zu schützen um nicht in dieser Weise davon beeinflußt zu werden. Das merkst Du doch: Es gibt da ein paar Wahlmöglichkeiten und Du kannst selber wählen!

LF: Ich glaube, Theodor Adorno hätte das wohl am meisten abgelehnt, denn ihm war ja diese spezielle Opposition gegen diese Gesellschaft des Kommerzes zueigen...

PO: Nun, etwas zu benutzen, was so fundamental und elementar ist, und damit Menschen zu etwas zu bringen,  nur um selber einen persönlichen Gewinn und Profit zu haben ist irgendwie unmoralisch. Wenn ich jetzt über relative Grenzen spreche, ist es natürlich die Aufgabe eines Menschen, der einen Beruf in der Wirtschaft hat, Gewinne zu maximieren. Und es ist gut, wenn Du einen Beruf hast, bei dem man Geld verdienen kann. Aber ist es auch gut, Geld damit zu machen, Menschen in eine bestimmte Richtung zu bringen, ohne dass sie es wirklich selber verstehen oder selber etwas davon merken? Das ist für mich wirklich eine moralische Frage! Aber meine Antwort lautet: Laßt uns das alles wahrnehmen und lernen, was da  passiert, nur so können wir diese Sache widerstehen.

LF: Du meinst, es gibt keine Feinde, die bekämpft werden müssen, wir müssen selber weiterkommen?

PO: So glaube ich es wenigstens: Wir müssen die Verantwortung für das übernehmen, was in unserer Umgebung passiert und müssen wissen, was und wie es uns beeinflußt.  

Kompositorische Fähigkeiten

LF: Wie wichtig ist Dir die Fähigkeit, als MusikerIn Noten z.B. eines einfachen Kinderliedes aufschreiben zu können. Es ist natürlich auch auch wichtig, viele andere Grundlagen zu lernen. Wird es aber nicht dann schwierig, wenn man nicht die Fähigkeit hat, die einfachste Melodie aufzuschreiben? 

PO: Das muß ich nochmal sagen, man kann heute MusikerIn sein ohne alles aufschreiben zu müssen. Man kann alles mögliche machen, denn alles kann man mit dem Gehör machen. Das ist möglich, weil es heute Computer und Synthesizer gibt. Das führt heute zu einer völlig anderen Situation. Ich meine, diese MusikerInnen der alten Schule, die ihre Harmonielehre und die konventionelle Notation beherrschen, und die all diese Fähigkeiten besitzen: Sie können das alles, aber sie können überhaupt nicht kreativ sein oder improvisieren. Ich wünsche mir eine Zusammenarbeit, und dass dies aus Interesse geschieht und nicht aus Zwang.

Musik als Objekt

LF: Ich merke, dass Dein Ausgangspunkt nicht das "Objekt Musik", sondern das menschliche Subjekt ist...

PO: Das mag schon so sein...

LF: ... und erst von dort kommst Du zum "Objekt Musik!"

PO: Musik ist mein Leben und meine Leidenschaft und meine Motivation. Ich spüre, dass man keine Musik empfinden kann ohne das Einfühlen in das Wesen der menschlichen Natur, zumindest nicht intensiv! Deshalb ist mir das so wichtig! Um eine Musik in unserer Zeit hervorzubringen, die heilen kann, brauchen wir Beziehungen, Menschen, die miteinander in einen harmonischen Dialog treten und nicht solche, die sich um ihre Privatchoräle kümmern (Pauline lacht und lacht und lacht...)!

Pauline Oliveros Foundation